Glücklich und schmerzhaft zugleich – „Ein wenig Leben“

Foto: hanser-literaturverlage, Grafik: Laura Quellenberg

Es ist ein Roman, bei dem die Meinungen auseinandergehen. Hanya Yanagihara beschreibt in „Ein wenig Leben“ so viele Emotionen, wie selten zuvor.

Keine Sorge, keine Spoiler.

10. März, 18:14

Ich war schon lange nicht mehr so gespannt auf ein Buch. Eine Mischung aus sehr hohen Erwartungen, Neugier und dem Gefühl, etwas verpasst zu haben. Bis jetzt. Endgültig motiviert hat mich diese Rezension.
Seit der Roman von Hanya Yanagihara 2015 erschien, läuft er mir immer wieder über den Weg. Wahrscheinlich haben mich die 957 Seiten abgeschreckt ihn zu lesen. Vielleicht auch das Cover (Funfact dazu) oder die ganzen traurigen Eindrücke der Leser:innen. Ich erwarte Drama und Trauer und Schmerz. Aber auch Freundschaft, Liebe und Glück.

„Ein wenig Leben“ handelt von vier College-Freunden. Willem, Jude, Malcom und JB. Man begleitet die jungen Männer beim Erwachsen werden. Bei der Wohnungssuche, Beziehungen, bei Streit. Man erlebt die Erinnerungen an ihre Anfänge als Künstler oder Schauspieler. Man erlebt aber auch Erinnerungen an die schlimmsten Alpträume. Dinge, bei denen man nicht darüber nachdenken möchte, dass sie wirklich passieren.

20. März, 11:14 (Seite 420)

Ich habe jetzt fast die Hälfte des Romans gelesen. Und ich mag die Geschichte sehr. Ich mag es, in die Gedanken der Protagonisten einzutauchen. So richtig mitzufühlen. Die schönen und die schmerzhaften Momente. Die Autorin beschreibt sie auf den Punkt. So gut, dass es sich manchmal in mir zusammenzieht. Dass ich mir nicht ausmalen möchte, wie sich die Figur wohl fühlt. Aber auch so gut, dass ich eigene Gedanken wiedererkenne.

Die Freunde leben in New York. Jeder von ihnen ist unterschiedlich. Jeder auf seine Art besonders. Nur selten nennt Yanagihara zu Beginn eines Abschnitts die Namen. Deshalb fiel es mir erst mal schwer, die einzelnen Charaktere auseinander zu halten. Beim weiteren Lesen fiel mir dieser Stil aber positiv auf. Je mehr Seiten ich umblättere, desto besser weiß ich, allein durch die Beschreibung der Gefühle und Handlungen, von wem gerade die Rede ist.

Hanya Yanagihara in „Ein wenig Leben“

21. März, 20:56 (Seite 450)

Die Geschichte ist heftig. Es ist grausam. Es geht weiter.

Von Beginn an ahnt man, dass eine Figur des Romans viel Negatives erlebt hat. Negativ ist noch positiv ausgedrückt. Ich liebe das Internet dafür, dass es neben vielen schlechten Sachen, so viele gute Entwicklungen gibt. Heute sollte es bei so sensiblen Themen Triggerwarnungen geben. In ein paar Büchern habe ich das bereits gelesen, in diesem fehlen sie.
Die böse Vorahnung, die man als Leser:in spürt, wird erst relativ spät aufgeklärt. Genau das löst aber dieses starke Mitfühlen und die Spannung aus. Man spürt die Angst, die Scham, die dunkelsten Gedanken.

5. April, 12:15

Es ist ein komischer Tag. Vielleicht liegt es daran, dass meine Laune so wechselhaft ist, wie das Wetter. In einem Augenblick regnet es, dann Sonne, plötzlich Schnee, danach beides gleichzeitig. Vielleicht ist es aber auch dieses Buch, dass jetzt gut drei Wochen lang, immer griffbereit lag. Zu „Ein wenig Leben“ habe ich schon die unterschiedlichsten Meinungen gelesen. Für mich war es etwas ganz Besonderes. Selten beschäftigen mich Charaktere so sehr, wie diese. Selten ist die Gedankenwelt, die so komplex sein kann, so genau beschrieben. Mein Kopf springt zwischen absolutem Unverständnis und totaler Nachvollziehbarkeit hin und her.

Hanya Yanagihara schafft eine lange emotionale, schmerzhafte und starke Reise. Die Lerser:innen tauchen aber so tief in die Gedanken und Gefühle der Protagonisten ein, dass sie sie ins Herz schließen. Das mag ich an Büchern. Nach Hause kommen, wenn man weiterliest.

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